Kündigung des Vertrags: Theorie und Praxis

Die Praxis hat gezeigt, dass bei Vertragsbruch und unsachgemäßer Handhabung des Reklamationsverfahrens die Verluste der kündigenden Partei selbst nach den bescheidensten Berechnungen das Vertragsvolumen um ein Vielfaches übersteigen können.
Normalerweise wird beim Abschluss eines Vertrags nicht darüber nachgedacht, was im Falle eines Vertragsbruchs geschehen wird und wie man den Vertrag richtig kündigt. Die Frage der Vertragskündigung stellt sich in den meisten Fällen erst, wenn zwischen den Parteien bereits erhebliche Meinungsverschiedenheiten bestehen und die Beziehung angespannt ist.
Es sollte daher darauf hingewiesen werden, dass die Missachtung der Grundsätze der Vertragskündigung dazu führen kann, dass eine Partei „aus dem Spiel“ ist, d. h. nicht nur eigene Verluste erleidet, sondern auch der anderen Partei Verluste verursacht, die mit der unrechtmäßigen Vertragskündigung verbunden sind.
Es gibt gesetzliche Mechanismen zur Vertragskündigung. Die Kündigung eines Vertrags ist möglich, wenn der Vertrag langfristig ist. Ein langfristiger Vertrag ist ein solcher, der auf die Erfüllung von dauerhaften oder wiederkehrenden Verpflichtungen abzielt (Abschnitt 195(3) des Schuldrechtsgesetzes). Ein langfristiger Vertrag wird nicht einmalig erfüllt, sondern über einen längeren Zeitraum hinweg. Beispiele für den Abschluss von langfristigen Verträgen lassen sich sowohl in der Geschäftswelt als auch im Alltag finden – Liefer-, Miet-, Pacht- und Kaufverträge usw.
Die Kündigung eines Vertrags bedeutet im Wesentlichen die einseitige Beendigung der vertraglichen Beziehungen. Eine Kündigung ist im ordentlichen Verlauf (Abschnitt 195 des Schuldrechtsgesetzes) und in außergewöhnlichen Fällen (Abschnitt 196 des Schuldrechtsgesetzes) möglich. In diesem Artikel konzentrieren wir uns auf die außerordentliche Kündigung des Vertrags, da die Praxis zeigt, dass in diesem Zusammenhang mehr Fragen aufkommen als bei einer ordentlichen Kündigung.
Zur Verdeutlichung modellieren wir eine Situation. Unternehmen A kauft Waren von Unternehmen B auf Grundlage eines 5-Jahres-Vertrags (die Parteien vereinbaren, dass A monatliche Bestellungen in einer bestimmten Höhe aufgibt und B diese Bestellungen ausführt). Unternehmen B liefert die Waren nicht rechtzeitig, und Unternehmen A erleidet Verluste aufgrund verspäteter Lieferungen. Die Frage lautet: Was sollte Unternehmen A in dieser Situation tun, wenn es nicht mehr mit dem unzuverlässigen Partner zusammenarbeiten möchte? Genauer gesagt, wie sieht der Ablauf der Vertragskündigung aus?
Beispielsweise kann Unternehmen A, nachdem es alle Phasen des Reklamationsverfahrens durchlaufen hat, eine Klage einreichen, um den Schadenersatz zu fordern. Welche Punkte sollten angesichts der bestehenden Rechtsprechung vor der Einreichung einer Klage berücksichtigt werden?
Bei der Bewertung der Reihenfolge und Begründung der Kündigung wird Folgendes berücksichtigt:
Erstens muss die kündigende Partei einen triftigen Grund für die Kündigung haben (materielle Voraussetzungen). Es muss ein erheblicher Vertragsbruch vorliegen (siehe Urteil des Obersten Gerichts in der Rechtssache 3-2-1-57-11). Die Abschnitte 116 und 196 des Schuldrechtsgesetzes definieren den Begriff des erheblichen Vertragsbruchs nicht und geben keine erschöpfende Liste solcher Verstöße.
Die Parteien können auch vereinbaren, welche Art von Verstößen als erheblich angesehen werden (siehe Urteil des Obersten Gerichts in der Rechtssache 3-2-1-100-07). Es ist bekannt, dass Verträge im Interesse der Erreichung bestimmter wirtschaftlicher und rechtlicher Ziele abgeschlossen werden, und wenn diese Ziele nicht erreicht werden, erhält die Partei nicht das, was sie sich von dem Geschäft erhofft hatte.
Nicht jeder Vertragsbruch ist erheblich. Abschnitt 196(1) des Schuldrechtsgesetzes verweist ebenfalls auf die Erheblichkeit des Vertragsbruchs und erlaubt einer Partei, den Vertrag zu kündigen, wenn unter Berücksichtigung aller Umstände und des gegenseitigen Interesses von der kündigenden Partei vernünftigerweise nicht erwartet werden kann, dass sie den Vertrag bis zum vereinbarten Datum oder bis zum Ende der Kündigungsfrist fortsetzt. Das bedeutet, dass bei Vorliegen materieller Voraussetzungen für die Kündigung nicht erwartet werden kann, dass die kündigende Partei die Geschäftsbeziehung fortsetzt.
Es ist wichtig, sorgfältig zu prüfen, ob eine wesentliche Vertragsbedingung verletzt wird, da andernfalls die Verletzung als unerheblich angesehen wird und die Partei den Vertrag ungerechtfertigt kündigt, was der anderen Partei das Recht gibt, eine Entschädigung zu verlangen.
Zweitens muss eine Kündigungserklärung der anderen Partei vorgelegt werden (siehe Urteil des Obersten Gerichts in der Rechtssache 3-2-1-57-11) (formale Voraussetzungen für die Kündigung). Wenn die Parteien keine spezifische Form für die Abgabe dieser Erklärung vereinbart haben, kann sie in beliebiger Form abgegeben werden. Das Gesetz schreibt keine obligatorische Form für eine Kündigungserklärung vor (siehe Urteil des Obersten Gerichts in der Rechtssache 3-2-1-143-09). Wenn die Erklärung jedoch nicht in der erforderlichen Form abgegeben wird, hat sie keine rechtlichen Konsequenzen.
Drittens muss die kündigende Partei der anderen Partei vor der Kündigung eine Nachfrist zur Erfüllung der Verpflichtung setzen (Abschnitt 196(2) des Schuldrechtsgesetzes). Eine Nachfrist ist nicht erforderlich, wenn die in Abschnitt 116(2) Absätze 2-4 des Schuldrechtsgesetzes genannten Umstände vorliegen: a) Es wird eine Verpflichtung verletzt, an deren Erfüllung die Partei ein besonderes Interesse hat; b) Die Verpflichtung wurde vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt; c) Der Verstoß gibt der geschädigten Partei vernünftige Gründe anzunehmen, dass die Verpflichtungen auch künftig nicht erfüllt werden.

Viertens sollten alle Erklärungen und die gesamte Korrespondenz mit der anderen Partei klar und eindeutig sein, wenn die Frage der Fortsetzung oder Kündigung des Vertrags geprüft wird. Wenn eine Partei den Vertrag kündigen möchte, muss sie dies deutlich machen, sodass keine Zweifel darüber bestehen, dass es sich um eine Kündigung handelt; andernfalls könnten mehrdeutige Hinweise auf die Fortsetzung oder Beendigung der Geschäftsbeziehung der kündigenden Partei Schaden zufügen.
Fünftens kann eine Partei den Vertrag nur innerhalb einer angemessenen Frist kündigen, nachdem sie von den Umständen Kenntnis erlangt hat, die den Kündigungsgrund bilden (Abschnitt 196(3) des Schuldrechtsgesetzes).

Somit ist die theoretische Seite der Vertragskündigung nicht so kompliziert wie deren praktische Umsetzung. In der Praxis, aufgrund der Besonderheiten des Geschäfts (und im weiteren Sinne aller Vermögensverhältnisse), ist es oft schwierig, die Logik und Reihenfolge der Handlungen bei der Kündigung eines Vertrags nachzuvollziehen – was dazu führt, dass viele ungeklärte Fragen später vor Gericht geklärt werden. Wenn jedoch die Mechanismen zur Kündigung des Vertrags richtig angewendet werden, wird die Situation zu Ihren Gunsten gelöst.

Autor: Rechtsanwalt Ilya Zuev
Der Artikel wurde in Delovye Vedomosti, www.dv.ee, veröffentlicht.